Einführung

Seit der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften in der frühen Neuzeit ist die Frage umstritten, ob die Werke von Erfindern und Künstlern rechtlich geschützt werden müssen.1 Wie wir heute wissen, haben die Befürworter eines solchen Schutzes diesen Streit vorerst gewonnen, und es gibt einen strengen, weltweit vernetzten Rechtsrahmen, der Urheberrechte, Patente, Marken und Geschäftsgeheimnisse unter dem gemeinsamen Begriff «geistiges Eigentum» in fast allen Teilen der Welt schützt. Die gemeinsame Begründung für den weltweiten Rechtsrahmen für geistige Eigentumsrechte beruht auf zwei Prämissen. Erstens, dass es einen individuellen Schöpfer eines kreativen Werks gibt und dass der kreative Prozess, der das Werk des Schöpfers hervorbringt, in erster Linie auf individueller Arbeit beruht und daher das Ergebnis dieses Prozesses ausschließlich dem Schöpfer zuzurechnen ist; und zweitens, dass ohne ein solches ausschließliches Recht auf Verwertung und Kontrolle ihrer Werke die Schöpfer weniger schaffen würden, weil es weniger finanzielle Anreize dafür gäbe, was schlecht für die Gesellschaft ist.

In meiner Arbeit werde ich argumentieren, dass diese Prämissen falsch sind, weil kreative Prozesse als kollektive Prozesse verstanden werden müssen, und dass, selbst wenn wir glauben, dass Privateigentum als solches für die persönliche Freiheit wesentlich ist, es keine Grundlage für die exklusive Aneignung der Ergebnisse menschlicher Kreativität durch Einzelpersonen gibt. Ich werde sogar argumentieren, dass wir den Fokus auf den einzelnen Schöpfer ganz aufgeben und zu einem Konzept gelangen sollten, bei dem nicht nur Ideen, sondern auch Ausdrucksformen und alle Ergebnisse kreativer kultureller Prozesse als Gemeingüter betrachtet werden, die für jeden ohne Einschränkungen zugänglich sind. Ich werde nicht nur argumentieren, dass das Konzept des individuellen Schöpfers angefochten werden kann, sondern auch, dass es wenig Gründe für utilitaristische Argumente zugunsten der Rechte an geistigem Eigentum gibt, selbst wenn wir noch an den individuellen Schöpfer glauben.

Meine Arbeit befasst sich mit den Rechten des geistigen Eigentums im weitesten Sinne, konzentriert sich aber vor allem auf einen ihrer Zweige: das «Urheberrecht» – auch wenn ich dort, wo es angebracht erscheint, auch auf Patente zu sprechen komme. Ich werde in dieser Arbeit nicht über Markenrechte schreiben, da ich sie nicht als Rechte betrachte, die in erster Linie die ausschließliche Nutzung kreativer Werke gewähren, sondern eher als Rechte, die sicherstellen, dass ein Produkt oder eine Organisation eindeutig identifizierbar ist. Dies vorausgeschickt, sollte es möglich sein, Markenrechte eher dem Wettbewerbsrecht als den geistigen Rechten zuzuordnen, aber ich werde diese spezielle Frage in dieser Arbeit nicht weiter erörtern. In diesem Aufsatz bezieht sich der Begriff «geistiges Eigentum» also hauptsächlich auf Urheberrechte und Patente. Es stimmt, dass die Rechte des geistigen Eigentums nicht in jedem Fall dieselben Merkmale aufweisen. Aber sie haben eine wichtige Gemeinsamkeit. Es handelt sich um Eigentumsrechte an abstrakten Gegenständen,2 wodurch sie sich in einigen Aspekten grundlegend von allgemeinen Eigentumsrechten unterscheiden, deren Gegenstand physische Gegenstände sind. Ich werde hier keinen Überblick über die Geschichte der Entwicklung der Rechte an geistigem Eigentum geben, da es eine Fülle solcher Übersichten gibt,3 aber ich möchte darauf hinweisen, dass das derzeitige System der Rechte an geistigem Eigentum das Ergebnis eines historischen und politischen Prozesses ist, der hauptsächlich von den wirtschaftlichen Interessen einer Minderheit gewinnorientierter Organisationen in den westlichen Gesellschaften angetrieben wird. Der jüngste Schritt bei der weltweiten Durchsetzung privater Rechte an geistigem Eigentum, die Umsetzung des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) aus der Uruguay-Runde des GATT von 1994, ist ein besonders gutes Beispiel dafür, wie mächtige monetäre Interessen den globalen Rechtsrahmen und damit die öffentliche Wahrnehmung des geistigen Eigentums geprägt haben. Daher sollte man sich bei der Lektüre dieses Textes vor Augen halten, dass die gegenwärtig etablierte Sichtweise des geistigen Eigentums in unserer Zeit nicht die einzig mögliche ist, und dass sie nicht als die beste angesehen werden muss, nur weil sie sich so weit durchgesetzt hat.

Ich beginne in Kapitel Eins mit einem kurzen Überblick über die drei wichtigsten klassischen Begründungen für Rechte an geistigem Eigentum. Sie werden von den meisten Befürwortern des derzeitigen globalen Rechtsrahmens für geistige Eigentumsrechte in Kombination verwendet. Alle drei Begründungen werden in diesem Aufsatz in Frage gestellt. Die naturrechtliche und die persönlichkeitsbasierte Rechtfertigung konzentrieren sich auf den individuellen Schöpfer und werden in den Kapiteln zwei und drei erörtert. Sie besagen im Wesentlichen, dass der Mensch als freies Geschöpf auch das ausschließliche und absolute Recht auf seine eigenen Ausdrucksformen haben sollte. Und da die Menschen sich selbst besitzen, so die Befürworter des Selbsteigentums – wenn auch kontrovers -, verdienen sie auch die Früchte ihrer Arbeit. Da der Mensch ein moralisches Recht auf die Entfaltung seiner Persönlichkeit hat, muss er auch ein ausschließliches Recht auf seine kreative Leistung haben, die Teil seiner individuellen Existenz ist. Ich werde diese Behauptungen in Frage stellen und erörtern, wie der kreative Prozess als ein zwischenmenschlicher oder kollektiver Prozess wahrgenommen werden kann und nicht als etwas, das in erster Linie dem Einzelnen zugeschrieben werden sollte. Ich werde dies auf der Grundlage von Richard Dawkins› Konzept des Mems und unter Bezugnahme auf Ludwik Flecks Idee des Gedankenkollektivs in wissenschaftlichen Gemeinschaften tun. Ich stelle nicht, wie es den Anschein haben mag, die individuelle Freiheit in Frage. Die Abschaffung der privaten Rechte an geistigem Eigentum würde mehr Menschen die Möglichkeit geben, ihr Leben nach ihren Bedürfnissen und Wünschen zu gestalten. Mit anderen Worten, sie würde wahrscheinlich zu mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit führen. In Kapitel vier werden wir die utilitaristischen Rechtfertigungen diskutieren. Ich werde argumentieren, dass die Abschaffung der Rechte an geistigem Eigentum sowohl aus libertärer als auch aus egalitärer Sicht die wirtschaftliche Situation weder für die Gesellschaft als Ganzes noch für die am schlechtesten Gestellten verschlechtern würde. Wir werden sehen, dass es aus utilitaristischen Erwägungen und zur Wahrung eines Höchstmaßes an persönlicher Freiheit für eine Gesellschaft sinnvoller ist, das Konzept des geistigen Eigentums vollständig aufzugeben und jedem die Möglichkeit zu geben, alle Ausdrucksformen, Kulturgüter und Erfindungen gleichermaßen und ohne Einschränkungen zu nutzen und davon zu profitieren. Eine wichtige Auswirkung eines solchen Systems wäre, dass wirtschaftliche Belohnungen für Innovationen und nicht nur für das Kopieren gewährt würden.


  1. Für eine Geschichte der Rechte an geistigem Eigentum siehe Deazley, Kretschmer & Bently (2010); Drahos (1996), May (2006) oder Höffner (2010a, 2010b)1 ↩︎
  2. Für eine detaillierte Untersuchung des Unterschieds zwischen abstrakten und physischen Objekten in Bezug auf Eigentumsrechte siehe Drahos (1996:6ff). ↩︎
  3. Siehe Boldrin (2008), Boyle (2008), Deazley (2010), Dommann (2014), Drahos (1996), Höffner (2010), May (2006), Moser (2013), ↩︎